Freitag, 22. Juli 2016

Heimkehrergedanken

Wenn man für eine lange Zeit nicht zuhause ist - und damit meine ich mehr als drei Monate - dann ist es eigentlich verrückt, zu erwarten, alles wäre wie früher. Zehn Monate, das ist fast ein Jahr, doch die Zeit vergeht wie im Flug, wenn man ständig aufregende Dinge erlebt. Klar, dass alles anders ist, wenn man vom 2000-Einwohner-Provinzkaff in eine Millionenstadt zieht, die auch noch am Meer liegt und zu jeder Jahreszeit haufenweise Touristen anzieht. Doch was passiert, wenn man diesem sensationellen Leben den Rücken kehrt und nach Hause pilgert, in freudiger Erwartung darauf, all seine Liebsten wiederzusehen, die Schulfreunde, mit denen man aufgewachsen ist und alles geteilt hat, die einem das ganze Jahr über ständig zukommen ließen, wie sehr sie einen vermissen.

Tja. Wenn man dann erst einmal zuhause ist, sieht die Wahrheit doch ganz anders aus. Denn jeder hat sein eigenes Leben, eine Arbeit, ein Studium, plötzlich eine feste Beziehung - und alle anderen haben es miterlebt. Bei gemeinsamen Unternehmungen kann man nicht mitreden, wenn über die Party neulich gesprochen wird, denn man war nicht dabei. An diesem Abend saß man mit einem Bier am Strand und unterhielt sich in drei verschiedenen Sprachen mit guten Freunden und neuen Bekanntschaften, die man dort jede Woche macht. Doch wen deiner alten Freunde interessiert das schon, wenn alles, was für sie zählt, das spätere Gehalt und das Zukunftsauto ist? Du hingegen hast nicht einmal den Führerschein und nach einem Jahr in der Großstadt siehst du erst recht keine Notwendigkeit mehr darin, einen zu machen. Du willst im Ausland studieren und in den Semesterferien durch Südamerika reisen. Deine Freunde studieren in der nächstgrößeren Stadt, 100km entfernt, und besuchen jedes Wochenende ihre Eltern. Eine Reise nach Frankreich ist ihnen zu gefährlich, wegen der vielen Anschläge. Sie sind 19, 20, so wie du, doch es scheint, als hätten sie die wilden Zwanziger, die eigentlich noch vor ihnen liegen sollten, längst übersprungen. Sie reden über die gleichen Leute wie vor zwei Jahren, und die ersten Schulkameraden aus deinem Abiturjahrgang heiraten schon. Ihr Leben ist vorbestimmt für die nächsten zwanzig bis dreißig Jahre: Bachelor, Master, Job beim örtlichen Unternehmen, fettes Gehalt, dickes Auto, die erste oder zweite Liebe aus dem Nachbarort heiraten, Kinder kriegen. Du hingegen bist dir nicht mal sicher, ob du überhaupt studieren möchtest, ans Heiraten willst du frühestens in zehn Jahren denken, denn du willst deine Jugend verdammt nochmal genießen, etwas erleben solange du noch frei bist und kannst, du willst dich nicht an eine Person binden, wie soll man mit 19 auch wissen, mit wem man den Rest seines Lebens verbringen will? Das Landleben kotzt dich an, keine Busverbindungen am Wochenende, Bauernpartys mit schlechter Musik und Dorf-DJs, die dafür bezahlt werden, die Charts einmal komplett zu spielen. Selbst zwei Wochen in dieser Öde erscheinen dir zu lang, und du fragst dich, ob die, die du als Freunde bezeichnest, schon immer so materialistisch, oberflächlich und langweilig waren und ob du womöglich nicht anders warst als sie. Du möchtest nicht mehr dahin zurück, wo sie sind, du kannst ihr Gejammer auf hohem Niveau nicht verstehen, geht es doch allen wunderbar hier, denn inzwischen weißt du, was Armut bedeutet, und kannst wertschätzen, was du hast. Und bei all diesen Fragen in deinem Kopf wird dir bewusst, dass dich nichts mehr aufhalten kann.